Wilhelm Laage
* 16.05.1868 Stellingen, + 03.01.1930 Ulm
Einführung


Das Heraufkommen eines neuen, im 20. Jahrhundert umfassend und tief sich wandelnden Weltbildes zeichnete sich im Wesen der Kunst, in Geist und Form künstlerischer und schöpferischer Gestaltung besonders deutlich und schon frühzeitig ab. Kommendes wurde vorausgeahnt, lange bevor es in ein allgemeines Bewußtsein aufgenommen werden konnte.
Der Verlauf der Entwicklung geht vom Naturalismus und absinkenden Impressionismus, vom malerisch Konturlosen, vom »Eindruck«, wie ihn die körperliche Netzhaut äußerlich verarbeitet, hin zu Aussage und Daseinsdeutung als Ausdruck des Innen, zur »Ausdruckskunst«. Als Wegzeichen können beispielhaft die Namen Vincent van Gogh und Edvard Munch gesetzt werden.
Dem künstlerischen Auftrag zur Verdichtung des Neuen kommen die Möglichkeiten des Graphischen im Schwarz-Weiß besonders entgegen. Das gilt vor allem für Deutschland, wo seit der Frühzeit der Graphik das Einsetzen neuer Entwicklungen schon immer von einem Hervortreten graphischen Ausdruckswillens begleitet war.
So erscheint, verbunden mit den tiefgreifenden geistigen Umbrüchen, die vom 19. in das 20. Jahrhundert führen, als ein überragendes Ereignis im Bereich der bildenden Kunst die Neugeburt der Originalgraphik. Und hier geschieht vor allem im neuen Holzschnitt die Entdeckung des Graphischen als eines Phänomens des Geistigen. Es bedeutet ein ganz Ursprüngliches, eine völlig eigengesetzliche Ausdruckswelt gegenüber anderen bildkünstlerischen Erscheinungen, wie etwa der des sinnenhaft Farbigen. Neu entdeckte Inhalte unbewußter Wirklichkeiten und untergründiger Vorgänge sind nun darstellbar geworden, finden Gestalt, die unmittelbar zu erleben uns gegeben wird.
Das Wesen des Graphischen wird mit aller Intensität deutlich in seiner Eigenschaft des tieferen Eindringens in ein notwendig gewordenes neues Weltbild und WeIterleben: »Wir wollen in die Tiefe und in innere Vorgänge dringen, wir wollen eine Kunst des unbekannt in uns pulsierenden Lebens.« Daß dabei das Zukünftige eine Ausdruckskunst mit dem Primat dieses Graphischen sein mußte, ist evident.
Tatsächlich tritt in der prüfenden Rückschau aus unserer heutigen Distanz dieführende Rolle der originalen Druckgraphik für die Manifestation und Deutung des neuen Welterfassens jener Jahre klarer hervor denn je. Der Holzschnitt erreichte dabei die wirkungsstärkere Gestalt gegenüber den anderen graphischen Techniken in der ihnen eigenen Verfeinerung, wenngleich auch sie zur Einfachheit neuer und unmittelbar graphischer Ausdruckskraft gesteigert wurden, wo es sich bisher noch wesentlich um ihre Anwendung als Mittel zur Vervielfältigung der Zeichnung gehandelt hatte. Es ging nun nicht mehr um die Anwendung nachahmender Reproduktionstechniken, nicht mehr nur um Übersetzung von bloßen Eindrücken, sondern ein großes inneres Müssen fordert vom Künstler die Gestaltung von Gleichnis und Symbol, dessen Aussagekraft den Menschen zum Ergriffenen macht und ihn in die Entscheidungen seiner Zeit stellt.

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Der Akt des schöpferischen Vollzugs des Neuen kristallisiert sich in einigen wenigen Berufenen. Allen voran ging der Norweger Edvard Munch (geb. 1863), der schon von 1892 an mehrere Jahre in Deutschland gelebt und sich seit der Jahreswende 1893/94 mit den graphischen Techniken der Radierung und der Lithographie befaßt hatte.
Seine ersten Holzschnitte dagegen entstanden seit 1896 in Paris, angeregt von Arbeiten Paul Gauguins, der in diesen Jahren ebenfalls begonnen hatte, im Holzschnitt neue Wege bildkünstlerischen Ausdrucks zu suchen.
Unter den Deutschen selbst ist es WILHELM LAAGE (geb.1868), Landsmann von Emil Nolde (geb. 1867), Christian Rohlfs (geb. 1849) und Ernst Barlach (geb. 1870), der im letzten Jahrfünft vor der Jahrhundertwende als erster die Schwelle überschreitet: 1896 beginnt sein graphisches Werk. Er gibt dem Holzschnitt jene entscheidende Stellung, die ihn in seiner geistigen Verdichtung von vornherein klar bestimmbar abgrenzt gegenüber gleichzeitigen Versuchen, welche trotz einer gewissen Werkgerechtigkeit nicht über ein illustratives und kunstgewerbliches Machen hinauskommen und sich in der technischen Bereicherung erschöpfen. Wilhelm Laage zieht die Konsequenz gegenüber einer Kunst der bloßen Wiedergabe des von der Natur empfangenen Seheindrucks wie auch der »ästhetischen Gourmets« und stellt sich ganz in die Notwendigkeit eines neuen Weges der inneren Gesichte und Visionen.
Fast ein Jahrzehnt vor den Künstlern, die sich 1905 in Dresden zu der Gemeinschaft »Brücke« zusammenschlossen (Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Franz Bleyl, Karl Schmidt-Rottluff), und vor Emil Nolde, der erst 1906 seine ersten Holzstöcke schneidet, erleben wir bei Laage das Wetterleuchten des Aufbruchs. Aus einer naturhaft ursprünglichen Formkraft heraus legt er in den Jahren vor der Jahrhundertwende Fundamente, mit denen er ganz am Anfang dieser Entwicklung steht und auf denen die Späteren weiterbauen werden. Die Offenbarung neuer Elemente weist weit in die Zukunft. Wir müssen mit dem von verschleiernden Zeiturteilen befreiten Blick in dieses Geschehen vor der Jahrhundertwende zurückgehen, um die Bedeutung Laages für den neuen Holzschnitt in Deutschland zu übersehen. Schon seine Arbeiten der Jahre 1896, 1897 und 1898 zeigen eine Gleichzeitigkeit und einen Rang neben Munch, die uns erstaunen machen und die nur mit den Vorgängen tieferer Wirklichkeiten der Kunst, wie sie außerhalb des Zeitlichen und Sichtbaren liegen, zu erklären sind.
Hier wie dort bedeutet das Graphische die Niederschrift einer inneren Natur, die im Geistigen der Voraussetzungen und der Erlebniswelt in hohem Grade verwandt ist. Laage selbst berichtet über diese Zeit: »Den Holzschnitt mit seinen dunklen Massen, der mit seinem 'Gesicht' aus dem Chaos ans Licht strebt, schlicht, einfach und doch ungeheuer stark in der Sprache, den brauchte ich.« Er verhalf dazu, das auszudrücken, was innerlich in dir tobt und braust. Wie ein Dämon stand er immer vor mir und trieb mich zu rastloser Arbeit an«.

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Die Tiefenschichten, aus denen Laage gestaltet, wurden schon angelegt in der Erlebniswelt seiner Kindheit und Jugend. Früh zeigt sich bei ihm eine überaus große Erlebnisfähigkeit. Er wächst in Verhältnissen auf, in denen die Helligkeiten in viel Dunkles gelegt sind. Die Eltern sind tagsüber zur Arbeit abwesend, der Vater als Friedhofsgärtner und Totengräber, die Mutter arbeitet schwer in einer Bleicherei. Ein Brand wird dem Jungen zum schrecklichen Erlebnis. Jahrelang sieht er in den Winternächten unheimliche Erscheinungen und scheußliche Dämonen, Gewitter und Stürme setzen ihn in tiefe Ängste, und im Sommer empfindet er das dämmerige Unterholz des Waldes als unheimlich, oder er begegnet phantastischen Gestalten und Gespenstern. Friedhöfe und das Geschehen um den Tod müssen ihn stark berührt haben. Der 15jährige wird »abgeschoben« in einen Wirtshausbetrieb nach Hamburg. Er berichtet: »Acht Jahre der Verbannung begannen jetzt für mich, mit Leiden, Qualen und stillen Freuden, in einem großen, dunklen, fremden Hause.« Es ist ein Vergnügungslokal, um das sich die Sittenpolizei kümmert, »…ein riesiger hummerartiger Polizist bewachte den Eingang«. Auch in dieser Zeit wird ihm das Ausgesetztsein und die Gefährdung alles Menschlichen zur bleibenden Erfahrung.
Die Spuren, der Niederschlag dieser Erlebniswelt ziehen sich durch das ganze graphische Werk und sind besonders deutlich in den frühen Blättern nachzuweisen. Daß Laage Vorgänge des zweiten Gesichts und des Hintersichtigen erlebte, oder daß ihn nicht selten Ahnungen oder Untergründiges belasteten, ist bis in seine späten Jahre bezeugt. Das innere Verwandtsein mit den anderen Nordländern, mit Nolde und Barlach, vor allem aber mit Munch, tritt in diesen Bereichen besonders zutage. Auch das Einzelgängertum ist ihnen gemeinsam und die geistige Kraft jener Einsamen, die abseits der breiten Wege, ohne Programme, Theorien, Gruppen — als die eigentlichen Urheber — neue Form und Gestalt aus den Seelengründen leidender menschlicher Existenz gebären.
Der junge Laage wird ergriffen vom inneren Müssen zur Kunst, und sie wird ihm zur Bestimmung. Es gelingt ihm, aus den Qualen seines Hamburger Daseins herauszukommen. Von 1890 bis 1892 wird ihm, wohl mit der Unterstützung des Pastors Petersen, der Besuch der Gewerbeschule möglich. Alfred Lichtwark findet ihn seiner Förderung wert, und Laage bezieht 1893, nun schon als 25jähriger, die Karlsruher Kunstakademie. Der Österreicher Robert Poetzelberger (1856—1930) und dann Graf Leopold von Kalckreuth (1855—1928) werden seine Lehrer. Sie vermögen ihm sehr wenig zu geben, stehen aber seiner Eigenentwicklung nicht entgegen. Für das, was aus Laage als das Wesentliche hervorbricht, für den neuen Holzschnitt, gibt es noch keinen Lehrer, nirgends in Deutschland. Er schreibt: »Die ganze Technik des Holzschnitts überhaupt, Schnitt und Druck, mußte ich selber für mich erfinden, denn ich hatte niemand zur Seite, der mir auch nur einen Wink auf meinen Weg gab.« Bei Carl Langhein (1872—1941), den Kalckreuth als Lehrer für den Steindruck nach Karlsruhe gerufen hatte, beschäftigte sich Laage schon vorher mit der Lithographie, kommt aber sehr bald zu der Feststellung: »… diese hatte für mich nicht das Rückgrat und die Seele, die ich von der Graphik verlangte«. Karlsruhe hatte mit der Pflege der Lithographie, vorwiegend als Farbensteindruck, in der Entwicklung der neunziger Jahre größere Bedeutung erlangt. Sie erreicht ihren Höhepunkt, als im Jahre 1895 Kalckreuth, der dem Neuen und den Bestrebungen der Jungen sehr aufgeschlossen gegenüberstand, an die Akademie berufen wurde. In diesen Jahren war Karlsruhe »geradezu der Vorhof Deutschlands« (Singer, Glaser) vor allem auf dem Gebiet des Steindrucks geworden. Lehrer und Schüler gründeten 1896 unter dem Vorsitz Kalckreuths den Karlsruher Künstlerbund, wobei es sich um eine ausgesprochene »Sezession« handelte. Die Atmosphäre der stillen Residenzstadt scheint für diese Bestrebungen nicht sehr günstig gewesen zu sein. Als Kalckreuth im Jahre 1899 an die Stuttgarter Akademie überging, zogen die fortschrittlichsten Kräfte unter den Lehrern und Schülern mit.

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In diesen Jahren, seit 1895, finden sich an der Karlsruher Akademie drei junge Künstler, denen die Situation des Aufbruchs gemeinsam ist, zu Freundschaft und Werkgemeinschaft zusammen: Wilhelm Laage, Emil Rudolf Weiß (1875—1942) und Karl Hofer (1878—1955). Sie bilden keine Gruppe, wie wir sie in den späteren Dresdener und Münchener Zusammenschlüssen kennen, aber ihrer Verbindung kommt die Eigenschaft einer Keimzelle des Neuen zu. Sie sind in Deutschland die Ersten, von denen im Bereich des spezifisch Graphischen eine eigene, legitime Beziehung zu jener Innenwelt aufgenommen wird, die sich von van Gogh und Munch herleiten läßt. Die Rückschau läßt erkennen, daß hier der Frühexpressionismus eine erste gültige Ausformung erfahren hat, wenn auch die Voraussetzungen zum eigentlichen Durchbruch in das breitere Kunstgeschehen noch nicht gegeben waren.
Aufschlußreich sind auch die lebhaften literarischen Interessen der Freunde. Gemeinsam war ihnen die Begeisterung für Strindberg, Hamsun und die russischen Dichter, für Arno Holz, Dehmel und Stanislaw Przybyszewski, den ersten Biographen Munchs. Mit Alfred Mombert waren sie zusammengekommen, von dem E. R. Weiß eine Porträtlithographie von hoher Qualität geschaffen hat.
1899 hat Hofer ein Laage-Bildnis radiert, ein wichtiges Blatt seiner frühen Graphik und einziges Bildnis seines radierten Werkes (Rathenau R. 31). Weiß porträtierte in einer Lithographie Laage beim Holzschneiden im Atelier. Damit ist auch die Wahl der graphischen Technik angedeutet, in der sich jeder der Freunde selbst gefunden hatte. Die von ihnen gewahrte Eigenständigkeit bestätigt sich besonders augenfällig, wo ein gleiches Thema gestaltet wurde, wie in Laages Holzschnitt Die Stumpfsinnigen und Hofers Radierung Geschlossene Gesellschaft (Rathenau R.1). Der freundschaftliche Kontakt der Drei hat sich, wenn auch nur in lockerer Weise, fortgesetzt. So verbrachten Laage und Hofer einen gemeinsamen Sommer in Altenwalde, verbunden mit einer sechswöchigen Seefahrt. E.R.Weiß und Laage trafen sich später in Berlin und besuchten 1913 gemeinsam Gustav Schiefler in Hamburg. Weiß war inzwischen genia1er Schöpfer neuer deutscher Buch- und Schriftkunst geworden. In den zwanziger Jahren noch verlebten Hofer und Weiß zwei Sommer gemeinsam in Bernau, dem Geburtsort von Hans Thoma. Künstlerisch war jeder von ihnen seit der Jahrhundertwende seine ganz eigenen Wege gegangen.

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Die Zeit, die Laage von 1899 bis 1904 an der Stuttgarter Akademie als Inhaber eines Meisterateliers bei Kalckreuth verbringt, ist für sein graphisches Schaffen nicht fruchtbar geworden. Vom lebhaften Stuttgarter Kunstleben jener Jahre, das durch das Wirken von Bernhard Pankok, Carlos Grethe u. a., auch des Architekten Theodor Fischer und durch die Gründung der Lehr- und Versuchswerkstätten am Weißenhof gekennzeichnet war, konnte sich Laage nicht angesprochen fühlen. Nur Adolf Hölzel und sein Kreis scheinen später etwas Berührung ermöglicht zu haben.
Wichtiger wurden für Laage seine Studienreisen an die Nordsee nach Cuxhaven und Altenwalde sowie sein erster Aufenthalt in Paris vom Dezember 1900 bis Mai 1901. Dort fand 1901 die erste große Van-Gogh-Ausstellung bei Bernheim statt, die ihn noch in seinen späten Erinnerungen ausrufen ließ: »Welch ein Ereignis! Wer wußte denn in Paris, geschweige in Deutschland, etwas von diesem eigenartigen Meister?« Inzwischen erschienen die ersten Veröffentlichungen über Laages Holzschnitte in so angesehenen und anspruchsvollen Zeitschriften wie den Wiener »Graphischen Künsten« und in »Ver Sacrum«. Auch kommen seine Blätter erstmals in überregionale Ausstellungen, in die »Große Kunstausstellung Dresden« und nach Wien, oder Karl Ernst Osthaus in Hagen wendet sich an Laage mit dem Wunsch einer Ausstellung in seinem Museum.
1903 lernt Laage seine spätere Frau, die an der Stuttgarter Akademie studierende Hedwig Kurtz aus Reutlingen, kennen. Nach der Hochzeit im Mai 1904 ziehen sie nach Cuxhaven. Hier nun sollte, nach der ersten Begegnung mit Gustav Schiefler, Laages Holzschnittwerk seine reiche Fortsetzung finden.

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Die Verbindung Laage—Schiefler verdient besondere Beachtung. Gustav Schieflers Wirken für die neue Kunst in Deutschland — für den Expressionismus im besonderen — erhält aus unserer heutigen Sicht auf die Vorgänge der Jahrhundertwende nicht geringe Bedeutung. Der Rang seiner Œuvre-Kataloge — Ernest Rathenau hat ihn zu Recht den »Klassiker des modernen deutschen Graphik-Katalogs« genannt — bleibt vorbildlich und unerreicht, wie die heutigen Neuauflagen seiner Nolde- und Kirchner-Kataloge zeigen. Damit verbunden bestätigen sich die Schieflerschen Interpretationen künstlerischer Werke aus der damaligen Zeit in ihrer Gültigkeit immer wieder neu. Schieflers ausgezeichnete Kennerschaft gründete sich nicht zuletzt darauf, daß er mit den Künstlern intensive persönliche Kontakte pflegte, die in den meisten Fällen zu ausgesprochen freundschaftlicher Verbundenheit führten. Oft waren in seinem Hause in Mellingstedt bei Hamburg Künstler wie Munch, Nolde, Heckel, Schmidt-Rottluff zu Gast, und eben auch Wilhelm Laage als einer der ersten. Neben zum Teil intensiv gepflegtem Briefwechsel wurden hier im persönlichen Austausch mit den Künstlern die Grundlagen geschaffen für die Veröffentlichungen Schieflers und für den Ausbau seiner Sammlung.
Schiefler vermittelte wiederum Verbindungen zwischen diesen Künstlern, sei es durch ihre Werke, sei es durch persönliche Begegnungen. So heißt es in einem Brief von Karl Schmidt-Rottluff an Schiefler vom 18.7.1907, den er anläßlich seines ersten Besuchs bei ihm schrieb: »Laage will ich auch besuchen auf der Rückreise von Hamburg…«, und dann am 28.7.1907: »…diese Munchs, die beiden Holzschnitte und einige Lithographien, beschäftigten mich noch stark. — Es war sehr liebenswürdig von Ihnen, mich bei Laage anzumelden…«
Auch muß Gustav Schiefler auf die ihm verbundenen, oft schwer ringenden Künstler, für die er sich nach außen fördernd und kämpfend einsetzte, durch direkte Anregung und positive Kritik eine große Wirkung ausgeübt haben. Das trifft auch für Laage zu, den er im Sommer 1905 in Cuxhaven erstmals aufsuchte, nachdem er durch Kalckreuth erfuhr, daß der Künstler sich dort angesiedelt hatte. Schiefler berichtet von diesem Besuch: »Ich fand ihn dort in ziemlich gedrückter Stimmung. Er saß, jung verheiratet mit einer Reutlingerin, in einem Häuschen in Westerwisch, war mit sich und seiner Kunst nicht im reinen und krankte an der Unmöglichkeit, sich da unten mit anderen auszusprechen. Den Holzschnitt, so erzählte er, habe er ganz liegen lassen. Denn abgesehen von den in den 'Graphischen Künsten' und einigen in der Inselmappe publizierten Stöcken habe er noch kein Blatt verkauft. Nun freute es ihn, daß mich die Anteilnahme an dieser Kunstübung hergeführt hatte, und er lebte geradezu auf, als er sah, wie mir seine Drucke gefielen. Ich nahm das Bewußtsein mit, daß mein Besuch und der Ankauf einiger Holzschnitte seinen Mut neu belebt hatten, und er sah diese Hoffnung dadurch bestätigt, daß er im nächsten Frühjahr mit einer Anzahl neu geschnittener Stöcke erschien, die er in Hamburg drucken wollte. Er wohnte bei uns und war ein angenehmer, anspruchsloser Gast. Sein Äußeres und sein Benehmen hatten nichts vom Künstler, eher hätte man ihn für einen kleinen Handwerker halten können. Nur das energische Gesicht und die Lebhaftigkeit des oft in Begeisterung aufblitzenden Auges legten Zeugnis ab, wie es in seinem Innern arbeitete. Er war zutraulich wie ein junger Verwandter und genoß offenbar als ein Glück, sein Herz bei uns auszuschütten und für seine künstlerische Auffassung, insbesondere für das Starke, Geradlinige, Scharfkantige, Eckige, das er liebte, Verständnis zu finden. Er klagte, ihm sei oft geraten, dem zu entsagen, weil es das Publikum abstoße, aber er würde das als eine Untreue gegen sich selbst empfinden. Wiederholt, fast alljährlich, ist er, sei es allein oder mit seiner Frau, bei uns als Hausgast gewesen, und jedesmal vermehrte sich meine Sammlung um eine Anzahl Blätter… «

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Schon 1899 waren Holzschnitte und Lithographien von Wilhelm Laage den Mappen des Karisruher Vereins für Originalradierung beigegeben worden. Im selben Jahr waren im 1. Jahrgang der berühmt gewordenen »Insel«, in den Wiener »Graphischen Künsten«, dann 1900 in der Inselmappe Holzschnitte von Laage reproduziert oder als Originalbeigaben erschienen. Friedrich Dörnhöffer hatte in den »Graphischen Künsten« eine erste Würdigung der aufrüttelnden Blätter des jungen Künstlers gegeben. Es ist der von Schiefler erwähnte Aufsatz, durch den er erstmals auf Laage aufmerksam wurde. Dörnhöffer gibt damals schon in treffender Interpretation ein Bild von der Eindringlichkeit der Graphik Laages und macht auf das für die Situation jener Jahre so Bedeutende und Ungewöhnliche in dessen »Holzschnittsprache« aufmerksam:
»…so bricht gleichsam die Blüte dieser persönlichen Kraft auf in den Werken, wo sich in die dargestellten Naturdinge traumgeborene Gestalten mischen, wie ›Nacht‹, ›Ein Frühlingstag‹, ›Die Braut‹, über denen es wie ein Wetterleuchten wahrer Inspiration geht.« Und zu dem Holzschnitt ›Dorfbrand‹ von 1898 schrieb er: »Die züngelnden Flammen, Qualm und Rauch verdichten sich zu Visionen der Elemente; das Feuer reißt den gierigen Rachen auf, die Winde schüren mit ihrem Hauche, unten, im unklaren Gewirre, mühen sich Menschen in trostlos-vergeblichem Kampfe. Ein Blatt von wilder Energie und hinreißendem Schwunge, dem ein vollendetes Gelingen verliehen ist.« Und, müssen wir Heutigen nach 70 Jahren hinzufügen, ein Blatt von geradezu unerhört visionärer Prophetie im Heraufkommen und vor dem Beginn dieses 20. Jahrhunderts mit seinen Erschütterungen und Weltbränden.
1901 erschien in der dem »Pan« verwandten Zeitschrift »Ver Sacrum«, die sich die Pflege der graphischen Künste besonders angelegen sein ließ, ein Beitrag von Emil Rudolf Weiß über Wilhelm Laage. Die Auswahl von elf frühen Blättern Laages, die in Abbildungen beigegeben wurde, vermittelt gerade im Rahmen dieser anspruchsvollen Zeitschrift dem heute Prüfenden den Eindruck einer erstaunlichen Vorwegnahme. Laage hatte über die »Stilwende« jener Jahre mit ihren dekorativen Flächeneffekten, kunstgewerblichen Mustern, Ornamenten und Stilisierungen schon weit hinausgegriffen. Dörnhöffer hatte 1899 richtig von Laage gesagt: »Von Vallotton scheint ihm nicht viel bekannt gewesen zu sein.« Und E.R.Weiß bestätigte nun in seiner Abhandlung über Laages Graphik erneut den Aufbruch, das Ganz-Andere einer neuen Innenwelt.
Er schreibt: »Wenn einer ist, der sich gibt ohne Maske und ohne 'Kunst-machen-Wollen', so ist dies Laage. Keiner hat seine Gesichte so unangetastet ins Sichtbare gerufen. — Ihm dient ein Auge und eine Hand, so wundervoll frei bewahrt von allem, was irgendwo für Schulgeld zu lernen ist. — Welch ein Glück, daß seine Natur so verschlossen, verborgen, geheim war, daß kein akademischer Drill sie stören oder vergewaltigen konnte, nichts ihr aufdrängen als ‹notwendig› oder ‹richtig›, noch ihr etwas von dem nehmen, was sie aus dem heiligen Schoß mitgebracht, aus dem sie kam. — Laages Stil, das heißt die Art, wie er alles sieht und darstellt, ist völlig frei, uriabhängig, sein eigen und er selbst.« Auch Weiß wird fasziniert von der Dichte des Dorfbrands: » … diese infernalisch glühende Concentration der Stimmung von menschlicher Not und Angst und dem Brausen von Feuer und Wind, wiederum menschlich oder vielmehr: übermenschlich und sichtbar geworden in dem ungeheuren Dämonenhaupt, das mit aufgerissenen Augen und schreiendem Maul über die dampfende Brandstätte wogt. Ferner das große Blatt ›Tod und Leben‹ und das unvergleichliche ›Finale‹, in dem wieder das Beklemmende, Traurige, unfaßbar Unheimliche, wie das Arme und Hilflose, das Trost erhält, Gestalt angenommen hat. — Eine große Reihe von Holzschnitten sind nicht bis zu dieser ›Sichtbarwerdung‹ entwickelte ›Vermenschlichungen‹, keine rein symbolischen Darstellungen eines Erlebnisses, sondern mit restloser Versenkung in die angeschaute Erscheinung und mit äußerster Strenge und Selbstzucht gegen die ausführende Hand gegebene Dinge der Erscheinungswelt. Vielmehr deren innerstes und geheimstes Wesen, ihre 'krystallisierte, paradiesische Form', wie Gide sagte.« Und Emil Rudolf Weiß findet das Schlüsselwort, wenn er dann schreibt, daß jeder dieser Holzschnitte Laages »ein Zustand seiner Seele« sei.

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Im Jahre 1896 hatte dieses graphische Schaffen Laages eingesetzt. Nach kurzer Zeit ist es nur noch der Holzschnitt, der ihn beschäftigt: » … um das Jahr 1898 war es, daß mich eine leidenschaftliche Liebe zum Holzschnitt faßte.« Mit den ersten Holzschnitten schon hat er sich selbst gefunden, steht er am entscheidenden Punkt im Prozeß des Übergangs zwischen dem Gestern und einem Morgen. Und mit dem Durchbruch werden auch sofort die ersten Höhepunkte erreicht. Am Meer 1896, Tulpen, Mann mit Tod als Kind 1897, Dorfbrand, Die Stumpfsinnigen, Nacht, Altenwalder Heide 1898, Tod und Leben, Die Braut, Frühlingssturm, Finale, Einsame Landstraße 1899 — alle diese Schnitte sind Entscheidungen, zur abstrakten Form, zur zweidimensionalen Fläche, zu Rhythmus und Struktur, und alle dienen Laage dazu, wie er es einmal in einem Brief an Gustav Schiefler ausdrückte, » … den seelischen Ausdruck in Linie und Fläche widerspiegeln zu lassen«. Wir erkennen die Elemente für den kommenden breiten Strom expressiven Gestaltens in seinen vielfältigen Erscheinungen, vom Expressionismus im engeren Sinne bis zum Verismus, magischen Realismus und Surrealismus. Wie Urschöpfungen stehen diese Holzschnitte am Beginn der neuen Entwicklung. Es sind wirkliche und kostbare Inkunabeln des neuen deutschen Holzschnitts.
Nach der Stuttgarter Pause tritt seit dem Sommer 1905 der Holzschnitt für Laage erneut in den Vordergrund. Sein Schaffen schreitet fort in folgerichtig ausreifenden Phasen mit dem Merkmal der Bändigung in sich steigernden Ordnungsgraden, bei größter Reinheit der Mittel. Die notwendige Auseinandersetzung mit den Erscheinungen der Zeit, dem Jugendstil und japonistischen Elementen, überzeugt. Laage bleibt er selbst und bestätigt sich in seinem Stil eines gebändigten Expressionismus mehrschichtiger Ausprägungen, die ein inneres, gestaltendes Gesetz zur Form eines Ganzen läutert. Deshalb auch ist bei ihm kein Ausbrechen, kein Enthemmen noch Ekstase, und auch nicht Anklage und Aufruf. Tendenzen oder auch Theorien kennt er nicht. Laage hat ein Zuviel im Übermaß des Ausdrucks immer vermieden. Er steigert nicht mit Effekten, sondern die Steigerung geschieht durch Verhaltenheit und Strenge, durch kühle Klarheit. Die Schaffensperioden gehen bruchlos ineinander über, wenngleich die Stilstufen der steten lebendigen Wandlung dieses graphischen Werkes deutliche Zeitabschnitte markieren. Die Jahre bis um 1910 werden gekennzeichnet durch Arbeiten wie Die Faule 1905, Frau am Meer 1906, Mondaufgang 1906, dann 1907 Abend am Meer, Des Sommers Grab, Marine, denen 1908 Blätter folgen wie Erinnerung, Mutter mit Kind, Dämmerung und Sommers Abschied.
Inzwischen hatte Gustav Schiefler Laages Holzschnitte in seine Sammlung aufgenommen. Er berichtet darüber in seiner Schrift »Meine Graphik-Sammlung«: »Ich besaß jetzt von Munchscher Graphik eine Sammlung, die an Bedeutsamkeit der Stücke und Qualität der Drucke zu damaliger Zeit die reichhaltigste war. Aber in jenen Jahren der gärenden Säfte traten — neben Liebermann und Munch — noch andere Künstler auf den Schauplatz, die in meiner Sammlung einen Platz beanspruchen durften. Zeitlich als erster von ihnen tauchte Wilhelm Laage auf. Mit seinen früheren Arbeiten war ich schon um 1900 durch einen Artikel in den ›Graphischen Künsten‹ bekannt geworden.« Und a. a. 0.: »Bald fing ich auch hier an, das Material für eine spätere Katalogisierung zu sammeln« — nachdem er 1907 den ersten Teil seines Œuvre-Katalogs der Graphik Edvard Munchs fertiggestellt hatte.
Schiefler bekundet in der Einführung seines Laage-Katalogs, daß er oft mit Laage über die Voraussetzungen seiner Kunst gesprochen habe. Er hebt die Selbständigkeit seiner künstlerischen Auffassungen hervor, seine unbestechliche Ehrlichkeit, und schreibt von Laages »begründetem Bewußtsein, daß es etwas sei, was er zu geben habe«. Als ein entscheidendes Merkmal betont er, daß Laage »kein eingeschworener Heimatkünstler ist, der sich auf sein Gemüt etwas zugute tut«. Aber Schiefler erkennt wesentliche Grundlagen des Nordländers aus dessen Heimatlandschaft, aus Dünen, Küste, Heide, Himmel, Meer, wenn er sagt: »Der Rhythmus dieser Melodie klingt im Innern des Künstlers wider und läßt ihn die Grundtöne erkennen, auf welche alles gestimmt ist:
des Raumes Weite, die bedeutende Fläche, die große Linie. Mit leidenschaftlichem Ernst geht er an die Arbeit, aber es wird ihm schwer, den Stoff zu bewältigen; es ist wie ein Ringen um das Glück. Er ist nicht gewandt und noch weniger geschickt; seine Ehrlichkeit und seine Ausdauer führen seine Künstlerschaft zum Sieg. Weichheit, Gefälligkeit und einschmeichelndes Wesen würde man vergebens suchen; aber eine gründliche Sachlichkeit und starkes Gefühl für die Form und die Verhältnisse, also für die künstlerischen Gesetze der Gewichtsverteilung und Einordnung in den Raum, treten überall hervor. Er ist nicht ohne eine gewisse Schwere des Ausdrucks; aber sie wird durch seine Gefühlswärme gemildert, welche über seine ernsten Werke eine scheue Grazie breitet.« Und er schreibt a. a. 0.: »Jene Abgewogenheit im Verhältnis der angewandten Mittel zum Gegenstand, welche er als unverlierbaren Gewinn aus dem Studium der großen und einfachen Formen und Linien der Natur schöpft, gibt ihm auch die Fähigkeit, das Persönliche und Alltägliche ohne Geziertheit und Anmaßung in ein bedeutendes Gewand zu kleiden.« Schiefler schließt seine Einführung mit dem Blick auf Laages Persönlichkeit selbst: »Aus allem, was ihm entgegentritt, klingt ihm der große und einfache Rhythmus der eigenen Natur entgegen.« Und: »Den Mangel an platter Geschmeidigkeit wirft ihm niemand vor, der sein ehrliches Gesicht kennt: Wer in Einsamkeit dem Schaffen obliegt, kann kein Vielgewandter sein.«

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Im Dezember 1906 fand in Dresden die erste Graphik-Ausstellung der 1905 gegründeten »Künstlergruppe Brücke« statt, an der auch Wilhelm Laage teilgenommen hat. Über die Beteiligten unterrichtet eine Anzeige in den »Dresdner Neuesten Nachrichten« vom 4.12.1906 mit dem Wortlaut: »Die Künstlergruppe ›Brücke‹ eröffnet am 3. Dezember 06 in den Ausstellungsräumen ihres passiven Mitglieds K. M. Seifert, Dresden Löbtau, Gröbelstraße, ihre erste Holzschnittausstellung, bei der außer den Mitgliedern (Cuno Amiet, Fritz Bleyl, E. Heckel, E. Kirchner, M. Pechstein, K. Schmidt-Rottluff) noch folgende Künstler vertreten sind: G. Hentze — Kopenhagen, W. Kandinsky — Paris, W. Laage — Cuxhaven, H. Neumann — München.«
Wie neue Untersuchungen zur Geschichte der »Brücke« — hier insbesondere von Gerhard Wietek und Eberhard Roters (s. Lit.-Verz.) — erkennen lassen, kommt dieser Ausstellung und ihren Teilnehmern besondere Bedeutung zu. Auch Edvard Munch war eingeladen, hat jedoch nicht teilgenommen. Wietek verweist auf die Rolle der nicht zum engeren Brücke-Kreis gehörenden Künstler, auf die »Vorgänger, Weggefährten, Vorbilder, ohne die das Werk keines Künstlers gedeihen kann«, und sagt: »Für die Brücke als Organisation mag die Beschränkung auf die von Kirchner (in seiner Brücke-Chronik [Der Verfasser]) genannten Namen zu begründen sein, für die Deutung der Brücke als Stilphänomen war und ist sie nicht ausreichend.«
Gerhard Wietek spricht die Vermutung aus, daß die den Brücke-Künstlern bekannte Zeitschrift ›Ver Sacrum‹ mit dem Beitrag von Emil Rudolf Weiß über Wilhelm Laage die mittelbare Veranlassung gegeben haben könnte, Laage zu dieser ersten Holzschnittausstellung der Brücke einzuladen. Eberhard Roters kommt zu dem Schluß, daß möglicherweise durch Gustav Schiefler, der im selben Jahr 1906 über die Verbindung mit Emil Nolde passives Mitglied der Brücke geworden war, der Vorschlag zur Teilnahme Laages vermittelt wurde. Naheliegend ist auch eine Kenntnis seitens der Brücke von Dörnhöffers Laage-Aufsatz in den »Graphischen Künsten« von 1899. Darüber hinaus darf jedoch als sicher angenommen werden, daß Laage den Brücke-Künstlern auch durch Originalarbeiten schon bekannt war. Laage beteiligte sich 1904 an der großen Kunstausstellung Dresden, wie er Karl Ernst Osthaus in einem Brief mitgeteilt hatte. Im Jahre 1906 fand eine Ausstellung seiner Arbeiten in Weimar statt.
Mit welchen Holzschnitten Wilhelm Laage in der Brücke-Ausstellung vertreten war, läßt sich wohl nicht mehr feststellen. Er hatte seit 1905 eine Reihe neuer Holzstöcke bearbeitet. Einen Hinweis vermag vielleicht seine Mitteilung an Gustav Schiefler vom 2. November 1906 enthalten, daß er augenblicklich von seinen sämtlichen früheren Holzschnitten — gemeint sind die Schnitte der Zeit vor 1900 — eine kleine Auflage drucken lasse. Eine aufschlußreiche Vorstellung des Eindrucks, den Laages Blätter neben denen der Brücke-Mitglieder und Kandinskys in dieser Ausstellung vom Dezember 1906 gegeben haben, läßt sich jedoch auch heute erreichen. Es kann davon ausgegangen werden, daß eine Auswahl der besten Schnitte erfolgt war. Die Kenntnis der frühen Arbeiten Laages führt dabei zu überraschenden Ergebnissen. Vergleiche oder Gegenüberstellungen wie etwa von Laages Die Faule 1905 mit Kirchners Mädchenakten desselben Jahres (Schiefler 10, 11, Dube 58—61) — die Beispiele lassen sich beliebig erweitern — zeigen, daß Laage die eigentliche expressionistische Stilstufe erheblich früher erreicht hatte. Das besondere Interesse der Brücke-Künstler an einer Einladung und Teilnahme Laages, welches ja Gründe gehabt haben muß, erklärt sich aus der Erkenntnis der Bedeutung der Laageschen Holzschnitte für die von ihnen selbst erstrebten Vorstellungen und Ziele. Es eröffnen sich hier Aspekte, die weitergehender Untersuchungen bedürfen. Gegenüber einer oft gebrauchten Fixierung des Jahres 1905 für den eigentlichen Beginn der neuen Kunst in Deutschland — im besonderen des expressionistischen Holzschnitts — ergibt sich hier aus Laages frühem Holzschnittwerk eine erweiterte Sicht, die für die Gesamtdarstellung nicht unwesentlich bleiben kann.
Kirchners bedauerliche Manipulationen — unter anderem mit der bewußten Vordatierung seiner Holzschnitte bis 1898 —, mit denen er alle Einflüsse und Anregungen durch andere Künstler verneinen zu können glaubte und als der erste Erneuerer des Holzschnitts erscheinen wollte, haben wohl lange Zeit mit dazu beigetragen, Laages frühen und entscheidenden Beitrag zu verschleiern. Heute ist die Aufnahme von Einflüssen aus Laages Frühwerk durch die Brücke nicht mehr auszuschließen. Dörnhöffer hatte auf solche Wirkungskraft der Graphik Laages bereits 1899 hingewiesen, als er schrieb: »Was aber Laages Holzschnittsprache anlangt, so könnte es wohl sein, daß durch solche Arbeiten dem Holzschnitt frisches verjüngendes Blut zugeführt würde.«

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Schieflers Laage-Katalog schließt ab im Februar 1912 mit einer Lithographie Knabe mit Maske, der unmittelbar dasselbe Thema in Der Narr folgt. Beide Blätter, holzschnittmäßig wirkend, bedeuten wieder ein Aufbrechen des Dämonischen und Visionären in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.
In den Jahren vorher, seit 1909, erscheinen Holzschnitte, mit denen Laage in der Nähe van Goghscher Ausdruckswelt und Gestaltungskraft steht. Das Kennzeichnende in der Unmittelbarkeit der Niederschrift und Ausdrucksform van Goghs zeigt sich bei diesen Arbeiten Laages in überzeugend eigenständiger Weise im Holzschnitt angewendet. Landschaft wird hier von Laage ganz als Symbol gestaltet, aus den Rhythmen seiner eigenen Innenwelt wird Linie zur rhythmischen Funktion, die Flächen werden erfüllt mit Struktur, als den Zeichen innerer Bewegung. Es gibt im deutschen Holzschnitt nichts der Eigenart dieser Blätter Vergleichbares. Es ist vorwiegend das große Erlebnis der Heide, das sich in diesen Blättern niederschlägt: Heide bei Sonnenuntergang 1909 leitet in eine Schaffensperiode über, die mit solchen Blättern bis in die Zeit des ersten Weltkrieges reicht; auch Rugnux und Aela und Herbstmorgen 1913 sind dafür charakteristisch. Andere Hauptblätter dieser Periode sind Eva 1911, Karfreitag 1913, die Wachsschnitte Selbstbildnis und Mann und Frau, oder, auch aus 1913, der brillante Farbholzschnitt Kürbisernte. In bedeutenden Blättern wie Mann und Weib, Porträt Sonderegger 1914 oder Der Krieg 1915 entstehen weitere Höhepunkte.
Laage, seit 1907 in Reutlingen wohnend, hatte außer den jährlichen Arbeits- und Studienaufenthalten in Cuxhaven und Altenwalde noch andere Reisen unternommen.  ( * Siehe Dube: E.L.Kirchner — Das graphische Werk. München 1968. Band 1, Seite 12.)

 In der Reutlinger Atmosphäre konnte er sich offenbar nicht wohl fühlen und er trug sich deshalb immer wieder mit dem Gedanken, von dort wegzuziehen. Zweimal schlugen solche voll Hoffnung unternommenen Versuche fehl, 1911 in München und 1913 in Berlin. Am 28.12.1910 hatte er an Schiefler geschrieben: »Ich habe mich jetzt entschlossen, im nächsten Herbst von hier nach München zu ziehen, wenn es nicht schon früher geschieht. Im Mai gehe ich wieder auf recht lange Zeit nach Altenwalde-Cuxhaven.« Zwei Reisen in die Schweiz nach Graubünden in den Jahren 1913 und 1914 erschlossen ihm die Gebirgswelt für seinen Holzschnitt. Es gelingt ihm, in dem oben erwähnten Rugnux und Aela das Ungeheuere der Gebirgsmassen mit graphischen Zeichen zu durchdringen und zu erfüllen oder in dem Farbschnitt Die Berge das urhaft Inwendige und Dämonische solcher Landschaft sichtbar zu machen.
Im Frühjahr 1914 hielt sich Laage bei seinem Freund J. Ernst Sonderegger (1882 bis 1956) in Paris auf. Während dieser Zeit schnitt er das großartige Porträt S. und das Doppelbildnis Sonderegger Mann und Frau. Der Freund selbst wurde von Laage in diesen Wochen in die Technik des Holzschnittes eingeführt. J. Ernst Sonderegger, ein bedeutender Schweizer Künstler, hatte Klee 1912 in Paris eingeführt, pflegte enge Verbindung mit Ensor und war mit Kubin befreundet, der später eine umfangreiche Sammlung von Sondereggers Holzschnitten besaß. In einem Brief, den Laage nach der Rückkehr aus Paris an Sonderegger richtete, schrieb er, wie wertvoll der Pariser Aufenthalt für ihn gewesen war und … wie er mir wirklich den Blick geweitet hat. Doch hier komme ich mir wieder ganz kurzsichtig vor, es macht die ganze Umgebung«.
In dieser Zeit, um 1913/14, erhält die Menschendarstellung in Laages Schaffen durch den Porträtholzschnitt ein besonderes Gewicht. »Das Schwerste wollte ich im Bildnis wagen: von innen heraus wollte ich den Menschen gestalten, alle Flächen und Formen sollten nur dazu dienen, dies Schwerste darin auszudrücken.« Das Werk weist eine Reihe von Bildnissen auf, die zum Besten gehören, was der Bildnisholzschnitt hervorgebracht hat: Dem Porträt S. folgen Bildnis J. R. (II), Berte 1917, dann 1918 Bildnis Heinrich Rebensburg (II), Knabe mit Fisch, Frau am Fenster. Eine besondere Gruppe bilden die Bildnisse von Li Mörike — man könnte sie die Eva Mudocci Laages nennen — mit Junge Frau und einer Reihe anderer Fassungen bis zur Salome. Die Selbstbildnisse schließen sich mit nicht minder bedeutenden Lösungen an. In einer Spätphase, etwa seit 1917/18, erfährt Laages Werk noch einmal eine letzte Steigerung in Schöpfungen wie Sonne in Wolken, Im Februar, Frau mit Äpfeln 1920, in den Monotypien von 1922 Der Kranke und Selbstbildnis sowie in der Kreuzigung von 1923. Das graphische Werk schließt ab im Jahre 1924 mit einem Umfang von über 430 Arbeiten. Bis zu Wilhelm Laages Tod am 3. Januar 1930 sind dann keine graphischen Arbeiten mehr entstanden.

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Berühmt gewordene Sammler und Förderer moderner Kunst haben sich früh der graphischen Blätter Laages angenommen. Neben Schiefler in Hamburg sind es vor allem Hans Reinhart in Winterthur, Sonderegger in Paris, Karl Ernst Osthaus, der Gründer des Folkwang-Museums in Hagen, auch Heinrich Stinnes in Köln, die Laage-Holzschnitte sammelten. Lichtwark in Hamburg förderte ihn und kaufte Bilderund graphische Blätter Laages für die Kunsthalle. Die graphischen Sammlungen öffentlicher Galerien und Kunsthallen nahmen Arbeiten von ihm in ihre Bestände auf, so Hamburg, Stuttgart, Karlsruhe, Dresden, Bremen, München, Frankfurt, Berlin, Basel, Zürich, Wien. Bedeutende und führende Galerien hatten Ausstellungen von Laages Werken gezeigt, u. a. Commeter in Hamburg, J. B. Neumann in Berlin und Thannhauser in München. 1911 war er in der Internationalen Kunstausstellung in Rom vertreten. 1914 hatte Laage den Villa-Romana-Preis erhalten, ferner eine Staatsmedaille und den Ehrenpreis der Stadt Leipzig anläßlich der Internationalen Graphik-Ausstellung. Schiefler hatte veröffentlicht:
»Laage gehört zu den vollwichtigen Vertretern der Epoche von 1890 bis 1914.« Am 19. Mai 1917 schrieb er an Laage: »Ich bin sehr froh darüber, daß ich meine Sammlung Ihrer Blätter nach und nach so vervollständigen und runden kann. Sie wissen, wie sehr ich Ihre Kunst schätze und wie hoch ich es Ihnen anrechne, daß Sie unbeeinflußt von rechts und links sich immer genauer auf der Linie halten, welche Ihnen durch Ihre ursprünglichen Anlagen gewiesen ist. In der sicheren Einhaltung dieser Richtung beweisen Sie das, was im Grunde für einen bedeutenden Künstler immer die Hauptsache ist — den Charakter, wobei ich natürlich hier den Charakter im eigentlichen Künstlerischen verstehe. So ist es Ihnen gelungen, daß Ihr Werk als Ganzes etwas vollkommen Abgeschlossenes und in sich Gerundetes darstellt, das sich von der Leistung jedes anderen Künstlers in einer seltenen Selbständigkeit und Eigenartigkeit unterscheidet und allein darin schon von hoher Bedeutung ist.«

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Wenn nach Jahrzehnten der Vergessenheit und Nichtbeachtung nun die sichere Distanz erreicht ist, aus der dem graphischen Werk Wilhelm Laages der rechte Ort in der neueren deutschen Kunstgeschichte gegeben werden kann, so beginnt, wenn auch spät, sich doch noch zu vollziehen, was im Jahre 1899 Friedrich Dörnhöffer in den Wiener »Graphischen Künsten« schrieb: »Sollen Prophezeiungen gewagt werden, so wäre es die, daß man einst Laage mit Ehren unter denen nennen wird, die mithalfen, eine individuelle deutsche Kunst zu schaffen.«

Aus: Alfred Hagenlocher -
"Wilhelm Laage, Das graphische Werk"
Mit freundlicher Genehmigung von Frau Dr. Wagner

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