Auf der Akademie in Karlsruhe um das Jahr 1898 war es, daß
mich eine leidenschaftliche Liebe zum Holzschnitt faßte, der viele
Jahre hindurch dann meine bevorzugte künstlerische Betätigung
wurde. Zaghaft versuchte ich es zuerst mit einem ganz einfachen Umrißholzschnitt:
zwei rote Tulpen auf einem gelben Wiesenstück — noch nicht ahnend,
welcher gewaltigen Sprache der Holzschnitt fähig sei. Wohl hatte ich
mich schon mit der Lithographie beschäftigt; doch diese hatte für
mich nicht das Rückgrat und die Seele, die ich von der Graphik verlangte.
Den Holzschnitt mit seinen dunklen Massen, der mit seinem »Gesicht«
aus dem Chaos ans Licht strebt, schlicht, einfach und doch ungeheuer stark
in der Sprache, den brauchte ich, und jubelnd hing ich mich an ihn, als
er mir zurief: »Nimm mich hin, ich will dir verhelfen, das auszudrücken,
was innerlich in dir tobt und braust.« Wie ein Dämon stand er
immer vor mir und trieb mich zu rastloser Arbeit an. Bald erkannte ich
seinen Wert für meine Kunst.
Der »Dorfbrand«, der »Frühlingssturm«,
»Tod und Leben« waren die ersten Gesichte meiner innerlich
befreiten Bildseele.
Es folgten dann ruhigere Arbeiten: Stimmungen und Schilderungen. Auch
der einfache Konturenholzschnitt fesselte mich stark mit seiner strengen
Enthaltsamkeit und der klaren Sprache seiner Linie. Der »Beyertheimer
Friedhof«, »Heute rot, morgen tot« sind Arbeiten in dieser
Art, die ich dann noch in einfachen, aber starken Farben mit der Hand kolorierte.
Dadurch wurde der Ausdruck eigenartig gesteigert. Es sind nur wenige von
diesen Arbeiten, die ich meistens Freunden zum Geschenk machte, vorhanden.
Wenn ich meine ersten Arbeiten ausschließlich mit dem Messer
in den Stock geschnitten hatte, der aus Birnbaum- oder Kirschbaum- oder
Apfelbaumholz bestand, so vertauschte ich bald das Messer mit dem Hohleisen,
das mir für meine Ausdrucksweise willfähriger und passender schien.
Die ganze Technik des Holzschnitts überhaupt, Schnitt und Druck, mußte
ich selber für mich erfinden, denn ich hatte niemand zur Seite, der
mir auch nur einen Wink auf meinen Weg gab. Kein Wunder, daß ich
anfangs böses Lehrgeld zu zahlen hatte; besonders das Drucken machte
große Schwierigkeiten: Wenn ich es fleißig betrieb, vom Morgen
bis zum Abend, waren zum Schluß doch meistens nur wenige gute Drucke
entstanden, und ein ganzer Berg von mißratenen Blättern umgab
mich und füllte das Zimmer. Nun, das Papier war damals noch zu erschwingen.
Wir druckten auf einem alten, schönen Handpapier, das ein Freund von
mir für ein paar Pfennige erstanden hatte. Das Drucken meiner Blätter
geschah anfangs mit Aquarellfarben, die mit Reisstärke versetzt wurden
(japanische Art). Doch diese Art sagte mir bald nicht mehr zu. Das Anfeuchten
des Papiers und die wässerigen Farben taugten nicht zu Wirkungen,
die mir für den Holzschnitt vorschwebten. Ich griff daher später
zur Firnisfarbe, die ich mir nach meinen Angaben herstellen ließ,
und diese Farbe benutze ich heute noch. Sie ermöglicht mir, die stärksten
Tonunterschiede zu geben; steht auch, was matten Schmelz betrifft, der
Aquarellfarbe in nichts nach, und ihre Haltbarkeit ist unbegrenzt. Daß
sich das wundervolle Japanpapier oder Chinapapier am besten für den
Druck eignet, ist selbstverständlich; doch auch ein schönes Büttenpapier
hat seine eigenen Reize.
Immer mehr suchte ich mich bei meiner Arbeit von dem Gedanken zu befreien,
der Holzschnitt sei dazu da, eine Zeichnung, die man vorher auf den Holzstock
übertragen hat, herauszuschneiden, um somit eine bequeme und billige
Vervielfältigung der Zeichnung zu erhalten. Im Gegenteil: Der Holzschnitt
muß seinen ganz selbständigen Charakter haben, der in seinem
Schnitt liegt und deshalb in keiner anderen Technik ausgedrückt werden
kann. Der Schnitt ist es, worin seine ganze Seele lodert. Von dem zartesten
Hauch in »Blume der Nacht« bis zum stärksten Klageton
in »Karfreitag« oder »Salome« lassen sich alle
Töne anschlagen.
Besonderen Wert lege ich darauf, für jeden geplanten Holzschnitt
das rechte Holz zu wählen. Für die Farb- und Tonplatten benutze
ich gern ein Stück Holz, dessen Struktur im Charakter zu den darzustellenden
Farbflächen paßt. Ich habe wohl fast alle Holzarten probiert,
von den härtesten bis zu den weichsten. Je reizvoller die Struktur
des Holzes beim Drucken zum Vorschein kommt, je luftiger der Druck, desto
lieber ist er mir; deshalb ist mir auch die tote Fläche des Linoleums
unsympathisch. In unserer Waschküche in Betzingen stand lange Zeit
eine alte, verwaschene Türfüllung, die von den Wäscherinnen
benutzt wurde. Sie kam mir eines Tages unter die Augen und ich beschäftigte
mich innerlich lange damit, wie ich diese interessante Platte meinem Holzschnitt
dienstbar machen könnte. Besonders reizte mich die eigenartige, ausgesprochene
Maserung der Füllung, die von unten aufsteigend in mächtigen,
breiten, schön bewegten Linien nach oben sanft verlief und dann fast
ganz in der weichen Fläche verschwand. In diese Füllung, so wie
sie war, schnitt ich mein Blatt »Mann und Weib«. Im Jahre 1913
versuchte ich meinen ersten Bildnisholzschnitt »Junges Mädchen«.
Die ganze Schönheit des Schnittes sollte darin zur Geltung kommen
und mitwirken zur Belebung der Gestalt und ihrer Seele. Ich wählte
dazu zum erstenmal die schwarze Platte, d.h., ich schwärzte sie ein,
bevor ich mit der Arbeit begann. Aus diesem Chaos, aus dem Dunkel heraus
entwickelte ich nun meine Arbeit, um die ganze Schönheit des Schnittes
gleich klar vor Augen zu haben und durch den Schnitt auch die Seele meiner
Mädchengestalt zu bilden; denn es galt für mich hier nicht, eine
vorher auf den Stock übertragene saubere Zeichnung auszuschneiden.
Das weiche lneinanderfließen von Brust und Schultern, die ganze Haltung
der Gestalt schien mir gelungen.
Durch den Erfolg angeregt, versuchte ich nun weitere Bildnisse auf diese
Art zu schneiden, immer aus dem dunklen Grund heraus, unmittelbar vor der
Natur. Auch Landschaften sind so entstanden. Je bewegter ein nachzubildender
Gegenstand ist ob Mensch, Tier oder Landschaft — , je mehr sich sein Innenleben
in der ganzen Gestalt widerspiegelt und sie lebhaft modelt, je abwechslungsreicher
die Flächen aneinander- und ineinandergreifen, je mehr in einem Gesicht
»sichtbar« wird — ich meine bei Gott nicht die Runzeln und
Falten — , desto besser und interessanter ist der Holzschnitt danach zu
gestalten. Das Schwerste wollte ich im Bildnis wagen: von innen heraus
wollte ich den Menschen gestalten, alle Flächen und Formen sollten
nur dazu dienen, dies Schwerste darin auszudrücken. Daß ich
nun, um dieses Ziel zu erreichen, mit der üblichen Form brechen mußte,
weil sie mir bei der Belebung des Holzschnittes behindernd im Wege stand,
weil sie ihre Sprache redete statt meiner, ist wohl verständlich.
Durch einen Schweizer Freund veranlaßt, machte ich 1913 eine
Reise nach Graubünden. Die Berge und die Täler, die Matten, Wasserfälle
und Quellen, die Gletscher, die in die Wolken ragen oder geheimnisvoll
von diesen umhüllt sind, zogen mich an. Die hehre Gottheit in ihrem
verklärten Glanze ruht über allen diesen gewaltigen Zeugen der
Schöpfung. Eine ungeheure Tragik und Allgewalt spricht aus den Formen
der Berge. Die engen Schluchten mit ihren tosenden Wassern, die lichten
Lärchenwälder, die schwarzen, schroff aufsteigenden Felsmassen
mit ihren vom Schnee verklärten Häuptern und die einsamen Paßstraßen
sind überreich an Eindrücken. Diese in der Kunst wiederzugeben,
dazu ist der Holzschnitt wie geschaffen.
Trotzdem ich Nordländer von Geburt bin und die Schweiz vorher
nicht kannte, ging ich mit der größten Begeisterung ans Werk.
Im Sommer 1914 war ich wiederum in Graubünden, um mein Studium fortzusetzen
und in meiner Kunst den stärksten Ausdruck zu finden für die
große Natur der Gebirgswelt. Doch lange sollte die Freude nicht dauern:
der Krieg rief mich heim und verschloß mir meine neue Welt für
lange Jahre.
Einige größere Farbenholzschnitte mit Blumen und Früchten
entstanden in den Jahren 1915—1916. Die Grund- sowie die Farbplatten gestaltete
und schnitt ich gleich vor der Natur. Voraussetzung war für mich beim
Schneiden und Drucken dieser farbigen Arbeiten, daß der Holzschnittcharakter
unbedingt durchscheinen und gewahrt bleiben mußte, so daß eine
Verwechslung mit farbigen Arbeiten einer andern Graphik nicht möglich
war. Es muß also die schwarze Grundplatte immer vorherrschend sein,
in die sich dann die Farb- oder Tonplatten zur lebhafteren Darstellung
des Motivs einfügen. Das Interesse für meine Holzschnitte wurde
mit der Zeit lebhafter, obgleich sich das Publikum lange abweisend gegen
meine »Schwarzkunst« verhielt. Ich lasse nicht ab, mein Werk
auszubauen, an dem ich seit zwanzig Jahren arbeite. Ich will es vertiefen
und die ganze Stärke des Holzschnittes meinen Arbeiten dienstbar machen.
Möge meine Kraft dazu ausreichen!
Aus: Alfred Hagenlocher -
"Wilhelm Laage, Das graphische Werk"
Mit freundlicher Genehmigung von Frau Dr. Wagner
¤